Makuladegeneration

Hoffnungsschimmer für Blinde

Lübecker Nachrichten 28.02.2014

https://www.uksh.de/ (genaue Quelle an dieser Stelle im Quelltext)

Hightech für das Sehen von Formen und Kontrastkanten

13 000 Deutsche sind an Retinitis Pigmentosa erkrankt. Die Krankheit vernichtet die Sehzellen in der Netzhaut. Der Prozess ist unaufhaltsam, die Betroffenen erblinden. Hilfe bietet nun Hightech von der Firma Second Sight: ein Chip, der auf der Netzhaut fixiert wird. Operiert werden können Menschen, die einmal sehen konnten und deren Sehnerv intakt ist. Es muss ein minimaler Rest Sehvermögen vorhanden sein. Operiert wird immer nur ein Auge, und zwar das schlechtere. Nach der Chipimplantation müssen die Patienten eine Spezialbrille mit eingebauter Kamera tragen. Die scannt die Umgebung. Die Bilder werden in elektrische Impulse umgewandelt und drahtlos an den Chip übermittelt. Nun stimulieren diese künstlichen Seheindrücke Nervenzellen in der Netzhaut, so dass der Patient wenigstens einfache Formen und Kontrastkanten erkennen kann: helle und dunkle Flächen unterscheiden und so zum Beispiel Türen oder Bordsteinkanten erkennen. Vor etwa zwei Jahren wurde die OP erstmals in Deutschland durchgeführt. Die Ärzte gehen davon aus, dass eine Sehstärke von ein bis drei Prozent wiederhergestellt werden kann.

Viele Menschen leben in ewiger Dunkelheit. Einigen der 13 000 Deutschen, die an Retinitis Pigmentosa erkrankt sind, könnte ein Chip, der auf die Netzhaut implantiert wird, zu bis zu drei Prozent Sehkraft verhelfen.

Von Dorothea Baumm

Stell Dir vor, es dämmert, es wird dunkel – und Du machst kein Licht an in der Wohnung. Weil es keinen Unterschied machen würde. Weil Du blind bist. Und sowieso jeden Tag, jede wache Minute in Finsternis verbringst. Eine furchtbare Vorstellung? Absolut. Und doch leben viele Menschen so – dem Internet zufolge sind es 39,8 Millionen blinde und 285,3 Millionen sehbehinderte Menschen weltweit. Für manche von ihnen aber gibt es Hoffnung. Unter dem Namen "Argus II" wurde ein Netzhautchip entwickelt, der zumindest ein gewisses Formensehen ermöglichen kann.

Eine Einschränkung muss gleich vorweg genannt werden: Dieses Implantat ist nur für Menschen geeignet, die früher schon einmal sehen konnten, deren Gehirn die Verarbeitung der Bildinformationen gelernt hat. Die Operation, bei der eben ein Chip im Auge implantiert wird, ist erst wenige Male in Deutschland durchgeführt worden. Sehr zur Freude von Professor Dr. med. Salvatore Grisanti soll die Augenklinik an der Lübecker Uni nun als Norddeutschlands Centrum für Argus II ausgebaut werden. Und natürlich hat Professor Grisanti als Chef der Lübecker Uni-Augenklinik die ersten Patienten selbst operiert (wir berichteten).

Mit dem bloßen Eingriff ist es allerdings nicht getan – die Augenärzte können schließlich nicht zaubern, der Chip ist kein Wunderheilmittel. Jetzt sind die Patienten selbst gefragt. Unterstützt von einer Sehtrainerin müssen sie nun lernen, mit der hochmodernen Technik umzugehen – und üben, üben, üben. Denn so viel ist klar: Keiner der Operierten wird je wieder sehen können wie Menschen mit voller Sehkraft. Aber sie können Formensehen zurückerlangen, können wieder helle von dunklen Flächen unterscheiden. Mit Training soll es ihnen gelingen, wieder zu mehr Selbstständigkeit im Alltag zurückzufinden.

Für Patienten wie den 70-jährigen Bernd Folster aus Stockelsdorfheißt das also zunächst, alle Bequemlichkeit über Bord zu werfen. Folster hat nämlich, wie er erzählt, in den letzten Jahren immer weniger seine Wohnung verlassen. In den eigenen vier Wänden ist er durchaus selbstständig. "Ich koche, natürlich mit frischen Zutaten, und ich wasche meine Wäsche selbst", erzählt er.

Ausgehen mochte er allerdings nicht mehr so gern, und wenn, dann lieber mit einer Begleitperson als mit dem Langstock. Genau das aber soll er nun wieder üben, denn mit dem Netzhautimplantat soll es ihm gelingen, Konturen wie zum Beispiel den Kantstein zu erkennen.

Was alles so locker klingt, muss mühsam erarbeitet werden. Da braucht es Fleiß und vor allem Geduld. Nicht nur seitens des Patienten. Auch die Nerven von Annette Batz sind gefragt. Die Rehabilitationslehrerin Orientierung und Mobilität des Instituts für Rehabilitation und Integration Sehgeschädigter, Iris, übt mit Bernd Folster und seiner neuen Brille. Die sieht ungewohnt aus – kein Wunder, korrespondiert doch die Brille mit einem Minirechner mit dem Implantat und überträgt so Impulse auf die Netzhaut und ans Gehirn.

Es werde Licht: Das ist dann wohl doch zu optimistisch formuliert. Aber immerhin geht es um Formensehen, und so fordert Annette Batz Herrn Folster auf, ab sofort in der Wohnung das Licht anzumachen. Und üben soll er: eine weiße Tasse oder einen weißen Teller auf eine dunkle Fläche stellen und die Umrisse sehen, mit den Augen verfolgen.

Geschummelt wird nicht: Die Sehtrainerin kann mit einer Computersimulation sehen, ob Bernd Folster mit seiner Brille den kleinen weißen Zettel, den sie auf eine schwarze Folie geklebt hat, auch wirklich erkennt und umreißt. Für ihren Klienten stellt sich das, was wir als Flächen und Farben sehen, ganz anders dar. "Die Matte ist das Nichtflackern", erklärt sie sowohl Herrn Folster als auch der Schwester, die interessiert zuschaut, "und das Papier ist das Flackern." So wird geübt – vorerst einmal wöchentlich zwei Stunden.

Richtig sehen: Das können die Patienten auch mit dem Netzhautchip nicht. Aber sie sollten sich nach der Operation doch erheblich besser allein orientieren können – und das ist doch ein wichtiger Schritt heraus aus der Dunkelheit und der oft daraus resultierenden Isolation.

Original-Artikel: Hoffnungsschimmer für Blinde (pdf, ~ 1,46MB)